Zur Bundestagswahl 2017

Das Wahlergebnis der Bundestagswahl 2017 hat gezeigt, wie sehr Deutschland (und hier sind wir nicht die europäische Ausnahme) gespalten ist in der Frage wie wir mit der Komplexität, der Kontingenz, der Unsicherheit und der Fremdheit unserer Zeit umgehen sollen. Die Hochrechnungen haben uns aus einer Fantasie der politischen Homogenität und Mäßigkeit herausbugsiert. Was für einige erstaunlich ist (zumindest war es das für mich), ist die Tatsache, dass in unserer sozialen Blase keinerlei persönlicher Kontakt existiert zu Wählern der AfD, obwohl die Zahlen beweisen, dass es derer viele gibt. 13 % um genau zu sein. Wo sind diese 13%?

Sie leben in einer anderen Welt, scheint es. Die Kulturwissenschaft hat dazu eine Erklärung. Wenn wir uns an Bourdieu erinnern, der mit seinem Konzept des Habitus erklärt hat, dass wir in parallelen Gesellschaften leben, die ihre eigenen Regeln, Normen, Ästhetiken und Umgangsformen haben, dann ist es keine Überraschung, dass diese Parallelität auch für politische Einstellungen gelten. Wir haben keinen Kontakt zu den 13%, weil sie in einer anderen Welt leben. Die AfD beklagt, dass der Islam in Deutschland eine Parallelgesellschaft formieren würde. Die Parallelgesellschaft in meiner Realität ist die AfD.

Die Migrationsforschung zeigt: Wenn Parallelgesellschaften, unterschiedliche „Systeme“ einander befeinden, stärkt das vor allem die jeweilige Identität der Gruppe, bestärkt die Gruppen in ihrem Anderssein. Es kommt zu keinem Konsens, keinem gegenseitigen Verständnis, sondern zur Radikalität. Wenn wir eine politische Entschärfung wollen, müssen wir vor allem eins tun: unsere Parallelität auflösen zu einer Gemeinsamkeit. Wie soll das gehen?

Großartig, dass Bourdieu auch hier weiterhelfen kann. Jede Gesellschaft hat ihren Geschmack. Es gibt Hobbys, Kleidung, Nahrung, Musik etc, die wir mögen und zwar typischerweise für unsere Mini-Gesellschaft. Hier treffen wir Gleichgesinnte, tauschen uns aus und haben in der Regel ohnehin dieselbe Meinung. Wenn wir in Kontakt gehen wollen um Parallelität aufzulösen, dann müssen wir Feldforscher der Parallelgesellschaft werden. Wir müssen dorthin gehen, wo wir niemals hingehen würden um dort Menschen zu treffen, die wir sonst niemals treffen würden. Zum Beispiel die 13%. Und da beginnt ein überfälliger Dialog, den wir lernen müssen zu führen. Neugierig, aufgeschlossen und wohlwollend. Und wenn es nur ein erstes Beschnuppern ist.

Ihr habt keinen Bock in den Kegelverein, den Kleintierzuchtverein, die Schicki-Micki-Bar, den Metall-Schuppen, den Veganer-Treff, die Kampfsportschule zu gehen? Geht nicht an „fremde“ Orte, weil es Spaß machen soll. Geht aus Neugierde, aus sozialem Verantwortungsgefühl, als Liebe oder Hass, was auch immer aber nehmt Teil am politischen Deutschland. Kooperiert, wo bisher nur Konkurrenz herrscht. Es steckt viel Leidenschaft in der Bundestagswahl 2017. Aber es hat noch keiner seine Meinung geändert, weil er von außen dafür beschimpft wurde. Die größere Chance steckt in der Offenheit. Und wenn es nur die Verwunderung ist, die ihr auslösen könnt, indem ihr die Stereotype über euch im anderen zum Wanken bringt.

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