„Geht es dir um Macht oder um Wahrheit?“

Ein Statement zur Wissenschaft (und für den Konstruktivismus)

In der Auseinandersetzung mit der Wissenschaft (und damit ist an dieser Stelle die Kultur- und Sozialwissenschaft gemeint), wird mir immer wieder die Frage gestellt: Warum? Warum möchtest du forschen? Warum Wissenschaft? Willst du „nur den Titel“, und damit ist im Grunde gefragt: Willst du nur die Macht, die mit der Zuschreibung der Wissenschaft verbunden ist? Die Macht, ernstgenommen zu werden, die Macht Aussagen über etwas zu treffen, die Macht mehr Anerkennung, mehr Gehalt, mehr Reichweite zu erhalten? Ist die Arbeit als Wissenschaftlerin nichts anderes als eine Befriedigung deiner Pleonexie?
Oder, die zweite Auswahloption, die mir zur Verfügung gestellt wird, willst du wirklich ein Körnchen Wahrheit zu dem großen Wissen der Menschheit hinzufügen? Willst du unsere Spezies durch deine untertänigste Arbeit in das Licht der Erkenntnis, der Aufklärung, der Weiterentwicklung führen? Was für ein wundervolles Heilsversprechen in dieser Handlungsoption, oder besser Deutungsoption, vergraben liegt. Etwas Wahrheit produzieren. Das finden, was Faust in zwei Bänden innerlicher Zerrissenheit und dubioser Kooperationen zu finden versucht: Was die Welt im Innersten zusammenhält.

Dass erstere Person ein inhaltsleeres Arbeiten für die Struktur der Macht ableistet, während zweitere Person messianische Leistungen für das Heil dieser Erde vollbringt?

Als junger Geist stehe ich zunächst etwas ratlos vor dieser Aufforderung, mich zu verorten. Will ich mehr von dem, was mich wirksam werden lässt im öffentlichen Diskurs, dass ich genauso gut erlangen könnte, wenn ich auf andere Weise zu Bekanntheit oder Prestige gelangen würde? Oder will ich Wahrheit für meine Mitgenossen aus dem Bergwerk der Mysterien herausklopfen? Und warum überhaupt diese Frage? Welche Vermutung steckt dahinter? Dass erstere Person ein inhaltsleeres Arbeiten für die Struktur der Macht ableistet, während zweitere Person messianische Leistungen für das Heil dieser Erde vollbringt?

Ich tue schließlich das, was ich als Kulturwissenschaftlerin zum einen und als nachdenklicher Mensch zum anderen gelernt habe in solchen Situationen zu tun: Ich grüble. Ich lege die Angebote auf die Maßbänder, die ich mit mir herumtrage. Die erste Option, die Wissenschaft als Vehikel zur Pleonexie, kommt mir sowohl unsympathisch (wie es wohl auch gemeint war), als auch hochwahrscheinlich vor. Das akademische Prozedere eine Person mittels unterschiedlicher symbolischer Handlungen durch mehrere Passage-Riten (wie es der Ethnologe ARNOLD VAN GENNEP beobachtet hat) hindurch zuführen bis hin zur Legitimation, etwas über etwas sagen zu dürfen und deshalb in dem Gesagten geglaubt und daher zitiert zu werden ist ein ebenso so existenzieller wie offensichtlicher Aspekt der Wissenschaft. Spätestens seit MICHEL FOUCAULTS Diskurstheorie und seinem Beitrag „Der Wille zum Wissen“ (1987) steht die Theorie im Raum, ein Titel, sei es nun dein Dr. oder ein Prof., ist die Eintrittskarte in die Loge derer, die im Diskurs sprechen dürfen und gehört werden.

An dieser Stelle beende ich den Gedanken zu ersterer Option, da mir nichts weiter dazu einfällt, was diesen Punkt noch infrage stellen könnte oder eine wirkliche Veränderung in seiner Bedeutung herbeiführt. Mit dem Soziologen EMILE DURKHEIM gesprochen könnte der Zugewinn an Macht durch die Arbeit unter dem Banner der Wissenschaft (oder vielmehr den Titel und damit einhergehend die Kompetenzvermutung) als soziale Tatsache bezeichnet werden. Es ist keine Tatsache, dass alle mit einem solchen Titel bessere, korrektere, neutralere, validere Aussagen über die Welt und ihre Zusammenhänge tätigen können; dass alles was die Wissenschaft sagt unweigerlich wahr ist. Das kann allein mit Blick auf vergangene Forschungen, die längst widerlegt sind, festgehalten werden. Aber es ist eine soziale Tatsache, dass die Verortung einer Person in der Wissenschaft ihr Publikum geneigter stimmt, zuzuhören und dem zu glauben, was diese Person erzählt.

Dann also zur zweiten Option, die mir als Kulturwissenschaftlerin angeboten wird (und das betone ich hier deshalb so, weil es mir in all meinen potenziellen Identitäten und Verortungen ausgerechnet und wahrscheinlich auch ausgeschlossen in dieser Verortung als Wissenschaftlerin angeboten wird): etwas Wahrheit ans Licht zu bringen. An dieser Stelle scheiden sich die Geister in mindestens zwei Richtungen, die ich hier beschreiben möchte. Diese beiden Richtungen hängen mit dem weiten Feld der Erkenntnistheorie zusammen, also derjenigen Wissenschaft, die versucht zu beschreiben, was Wissen überhaupt ist und wie es gewonnen werden kann.

Der Glaube an die Existenz von Wahrheit und ihre wissenschaftliche Herstellung kommt mir ein wenig vor wie eine alchemistische Arbeit.

An der simplen Tatsache, dass jemand diese Option benennt lässt sich die Hypothese aufstellen, dass diese Person sich selbst bereits eine Meinung zur Herstellung von Wahrheit gemacht hat. Möglicherweise ist diese Person davon überzeugt, Wahrheit finden zu können, was wiederum darauf schließen lässt, dass diese Person an die Existenz von Wahrheit und ihre wissenschaftliche Herstellung glaubt. Ein wenig kommt es mir vor wie eine alchemistische Arbeit: man nehme einen kompetent ausgebildeten Wissenschaftler, einen Experten also, füge ein zu untersuchendes Forschungsfeld hinzu, ein Objekt also, und lasse ersteren zweiteres bearbeiten mittels der Zauberkunst der Empirik, wissenschaftlichen Methoden zur Erhebung von Wissen, und siehe da, der Experte hat Daten und weiß diese korrekt zu deuten (weil er ja ein Experte ist) und fertig ist die Wahrheit, das Gold der Wissensgesellschaft.

Einer anderen Erkenntnistheorie folgend positionieren sich die „radikalen Konstruktivisten“, zu denen ich mich wohl ebenfalls zählen muss. Wie in dem Film Matrix wurde mir damals als Studierende in der Grundlagenvorlesung der Kulturwissenschaft die Option offengehalten, die Pille der Dekonstruktion abzulehnen und die Pille des Vergessens zu wählen, aus dem Hörsaal zu gehen und ein beseeltes Leben mit der Gewissheit von Tatsachen und eindeutigen Wahrheiten weiter zu führen. Mit einem abenteuerlichen Gemüt ausgestattet und einer bis hin zur Eigenart neigenden Neugierde bin ich geblieben. Wäre ich damals gegangen, wüsste ich heute vielleicht viel schneller, wie ich diese Frage von Sein oder Nicht Sein beantworten werde.

Die sehnsüchtige Phantasie objektiver, absoluter Wahrheit und Tatsachen, die ein nur solide genug ausgebildeter Wissenschaftler hervorbringen könnte, ist eine Zielvorgabe, von der sich der radikale Konstruktivismus distanziert. Und wenn ich sage: „dieser radikale Konstruktivismus“, ist das eine ebenso scheinheilig distanzierte Bezeichnung wie das ins Leere laufende Stellvertreter-Wörtchen „man“. Korrekter ist hier die Verortung und Formulierung: distanziere ich mich von dieser Zielvorgabe, der Schule des Radikalen Konstruktivismus folgend.

Nachdenken über die Welt findet im selben Gehirn statt, indem wir auch entscheiden, ob die Himbeermarmelade oder die Erdbeerkonfitüre auf dem Roggen-Vollkorn-Toast besser schmeckt.

Die Annahme dieser Schule ist, dass alle Erkenntnisse, und seien sie unter noch so vielen qualitätssichernden Maßnahmen entstanden, immer von Menschen stammen und Menschen in ihren persönlichen Kontexten verortet sind. Sie geht davon aus, dass es keinen bewusstseinsunabhängigen Blick auf die Welt gibt, dass jede Wahrnehmung, jede Interpretation, jedes Schauen auf das, was gesehen wird eine Konstruktion von dem Schauenden ist. Alles, was wir wahrnehmen und was wir „wissen“, ist zunächst in unseren Körpern, unseren Köpfen, ist verstrickt in unsere Version der Welt, der Gesellschaft, der Realität, wie wir es sind. Wir haben keinen unmittelbaren Zugang zur Wirklichkeit, nur unser Erleben der Wirklichkeit durch unseren Körper, unsere Psyche, und durch das Erinnern und Nachdenken über Wirklichkeit; und all das filtern wir mit unseren Konzepten von Moral, Sozialisierung, Gewohnheit und Geschmack. Nachdenken über die Welt findet im selben Gehirn statt, indem wir auch entscheiden, ob die Himbeermarmelade oder die Erdbeerkonfitüre auf dem Roggen-Vollkorn-Toast besser schmeckt. Nichts fliegt im „luftleeren Raum“, alles hat seinen Ort, seine Verortung. Und daher ist alles, was ein so verstricktes Wesen namens „Mensch“ erkennt, kontextgebunden, nichts allgemeingültig und nichts objektiv. Oder, wie es BRUCE LINCOLN bezeichnet hat: „Kultur entsteht im Kopf.“

Wissen ist das, was geglaubt wird.

Zu diesem Faktor der Subjektivität kommt ein zweiter, verheerender Stellplatz des „Wissens“: seine Beziehung zur Macht. Sprache schafft Realität (und damit meine ich soziale Realität, oder besser erlebte Realität). Mein Erleben kann ich in Worten teilen und anders herum können die Worte anderer mein Erleben verändern. Der Hinweis, wie etwas sei, die ausgesprochene Behauptung des „So-Sein[s] der Welt“ wird meine Wahrnehmung und meine Bewertung eben jener Welt beeinflussen – wird mich als Teil dieser Welt und mein Handeln als Wirken in dieser Welt beeinflussen. So bezeichnetes Wissen entsteht durch unser Reden und wirkt auf unser Erleben. Wissen ist also das, worüber geredet wird und worauf sich bei diesem Reden geeinigt wird. Oder wie es der Soziologe ARMIN NASSEHI ausgedrückt hat: „Wissen ist, was alle dafürhalten […]. Noch kürzer: Wissen ist geteiltes Wissen.“ (2008: 173). In meinen eigenen Worten würde ich sagen: Wissen ist das, was geglaubt wird.

Sprache wirkt also auf uns. Etwas in Worten zu beschreiben bedeutet auch, etwas zu bewerten. Ein Kernproblem der Generierung von objektiven Wissen ist, dass es kein Wissen ohne Sprache gibt und dass es keine Sprache ohne Bewertung, dass es also keine objektive Sprache gibt. Sprache ist Bewertung und weil sie wirksam ist, ist Bewertung Macht. Die Sprechende, die die Worte auswählen kann, ist also eine, die Macht ausübt. Je nachdem, welche Nomina, Adjektive und so weiter, noch wichtiger, welche Interjektionen in welcher Reihenfolge, Betonung, Geschwindigkeit oder Schriftart geäußert werden, beeinflusst die Sprechende oder Schreibende die Bewertung und somit die Empfindung ihres Publikums. Das heißt nicht, dass ein Publikum sich exakt so fühlt oder so assoziiert wie es eine Sprechende beabsichtigt hat. Aber es heißt, dass die Sprechende Impulse setzen kann, von denen sie ausgehen kann, dass die Zuhörerschaft sie empfangen wird. Je nachdem wie gut sich Sprechende und Zuhörende kennen, desto zielsicherer werden die Sprechenden die Zuhörenden steuern können, weil sie die selbe Sprache teilen und wissen welches Gefühl mit diesem oder jenem Wort verknüpft sein könnte.

Sich und seiner Gefolgschaft ein Ziel zu setzen, dass per Definition bereits ausgeschlossen und unerreichbar ist, ist ebenso masochistisch wie sadistisch.

Wenn also durch das Sprechen über Themenbereiche Wissen hergestellt wird, und diese Themenbereiche politische Brisanz haben (und an dieser Stelle sei gesagt, dass es wohl kaum eine kulturwissenschaftliche Forschung gibt, die nicht ein Thema mit politischer Brisanz behandelt), wenn dieses Forschen über Gesellschaft Wissen produziert und dieses Wissen das Erleben der Gesellschaft verändern wird, ist Wissenschaft ein hochpolitisches Vorhaben. Wenn das selbsterklärte Ziel der Wissenschaft ist „ein Körnchen Wahrheit zu dem großen Wissen der Menschheit hinzufügen“, wenn es um das Bergen im Steinbruch der Wahrheit, dem Aufspüren von Tatsachen, die Realisierung eines Reinheitsgebotes der Objektivität geht, muss sich die Wissenschaft mit ihrer eigenen Bankrotterklärung geschlagen sehen. Sich und seiner Gefolgschaft ein Ziel zu setzen, dass per Definition bereits ausgeschlossen und unerreichbar ist, ist ebenso masochistisch wie sadistisch.

Das wäre der Punkt, an dem wir vielleicht doch die Hörsaal-Holz-Klappstühle hochschnappen lassen sollten, unsere Hornbrillen und Holzkugelschreiber, unser chlorfrei-ungebleichtes Recycle-Papier, unser MacBook Pro oder unser schwarzes Notizbuch ohne Linien, die nur am freien Denken hindern, in unsere Umhängetasche packen, den Bambus-Kaffeebecher greifen und den Raum der Peinigung hinter uns lassen. Elvis has left the building. Während wir dann draußen unser Fahrrad aufschließen und den leichten Fahrtwind auf dem Weg zur WG in unseren flatternden Haaren spüren, fahren wir an den mittlerweile zur Normalität gewordenen AfD Veranstaltungsplakaten vorbei, den H&M Werbebildern großer schlanker Frauen, dem singenden Obdachlosen aus Syrien, der fotografierenden Touristengruppe, dem veganen Falafel-Laden, dem Seifenladen ohne Tierversuche, dem Kiosk mit den Tageszeitungen, dem regionalen Marktwagen an der Ecke und der Dame mit dem sollte-eigentlich-ist-aber-nicht-Pelz-Imitat. Und während wir ihre Wolke aus süßem Parfüm einatmen finden wir schließlich einen Grund auf die Bremse zu treten und mit quietschenden Reifen in der Gasse stehen zu bleiben.

Die Welt ist voller Diskurse, voller Machtoperationen, voller Produktion von Wahrheit und Norm. Auch wenn wir für einen kleinen Moment des Glücks erkannt haben, dass objektives Wissen eine Fiktion ist und Wissen im Grunde äquivalent mit Macht ist, heißt das nicht, dass unsere Umwelt mit einem ähnlichen Feingefühl an die Beschreibung des „So-Seins der Welt“ geht. Vielmehr stoßen wir ununterbrochen auf Imperative, auf Setzungen und Zuschreibungen, die keine objektive Tatsache, aber sehr wohl wirksame soziale Tatsache sind und die deshalb Realität werden. Und manche dieser sozialen Tatsachen finden wir vielleicht gut und andere Tatsachen finden wir besorgniserregend. Wir müssen uns mit einer gewissen Demut eingestehen, dass wir bei machen Themen doch gerne fördern, bei anderen lieber hindern würden. Wir finden in der Praxis bestätigt, was wir in der Theorie bereits wussten: unsere Verstricktheit in unsere Welt.

Wenn wir nicht objektiv sind, so sind wir vielleicht dennoch nützlich. Oder anders gesagt: Wenn die Wissenschaft schweigt im Chor der Diskurse, wer bleibt dann der spricht?

Und wenn wir diesen schwachen Moment der Emotionalität überwinden und zurück kehren zur heiligen Religion der Objektivität oder dem ewigen Streben nach ihr, wie der Katholik nach Gott strebt, müssen wir feststellen, dass Objektivität eine Skala ist. Dass wir nicht völlig objektiv sind, niemals sein werden, wussten wir bereits. Aber wir sind vielleicht doch sensibilisiert, vielleicht haben wir doch durch die intensive Auseinandersetzung mit einem Thema intensive Einblicke bekommen, durch das Lernen von Theorie und Geschichte einen Blick auf die Welt entwickelt, der einen Beitrag leisten kann, weil er sein „Schauen“ reflektiert und weil er das Spektrum, das Prisma, die Komplexität auffächert, wo an anderer Stelle gestaucht, zusammengeschoben, vereinheitlicht wird.

Plötzlich ist Wissenschaft ein Dienst an unseren Mitgenossen, nicht weil sie objektive Wahrheit herstellt, aber weil sie Zeit hat zum Denken und weil sie Methoden und Traditionen zur Kritik an sich selbst hat und weil sie sich erlauben kann, so intensiv einer Frage nachzugehen, wo an anderer Stelle Antworten gesucht werden und Antworten gegeben werden, die einfach, schnell, heiß und fettig sind.

Wenn wir nicht objektiv sind, so sind wir vielleicht dennoch nützlich. Oder anders gesagt: Wenn die Wissenschaft schweigt im Chor der Diskurse, wer bleibt dann der spricht? Was wäre dann das größere Vergehen? Wissen aus unserer Machtposition heraus zu produzieren, dass wir relativieren und verorten müssen und dass nie unseren Gott der Objektivität gleichkommt, aber Impulse setzt? Oder den Kopf in den Sand zu stecken vor der Unmöglichkeit unserer Aufgabe Antworten und Orientierung zu liefern und damit gleichzeitig zu akzeptieren, dass andere dieses Machtvakuum füllen werden mit Antworten, bei denen wir uns in den Schlaf weinen, während sie ihre Tatsächlichkeit behaupten.

Wir sträuben uns, weil wir die Mäkel unserer Ware kennen – zurecht! Aber vielleicht ist es auch die Differenz zwischen Soll- und Ist-Zustand, den wir überkommen müssen. Wir haben nicht DIE Wahrheit, aber wir können basteln und Forschen an EINER Wahrheit, die nützlich ist, die zielgerichtet und anschlussfähig ist für die Debatten unserer Welt. Denn wenn wir ohnehin nicht abgeschnitten sind, uns nicht abschneiden können, dann können wir ebenso gut mitmischen, was wir ohnehin die ganze Zeit machen. Aber, zum Punkt der Scheinheiligkeit zurückkommend (die sich auf die Religion der Objektivität bezieht), dann können wir dieses Kind auch beim Namen nennen – um die Produktion von Wahrheit durch Sprache an dieser Stelle transparent zu machen.

Warum möchte ich also Wissenschaft machen? Und das „machen“ ist an dieser Stelle so wörtlich zu verstehen, wie es getippt ist. Wegen dem, was mir dadurch verfügbar wird, oder wegen dem, was ich dadurch verfügbar mache? Die Antwort auf diese Frage lautet, dass ich nur deshalb etwas verfügbar machen kann, gerade weil mir etwas verfügbar wird. Ich kann Impulse geben, gerade weil ich verstrickt bin in meine Welt. Und diese Impulse werden möglicherweise gehört oder ernstgenommen, gerade weil Wissenschaft und Machtposition miteinander verknüpft sind. Und nein, ich bin nicht jeglicher Moral enthoben in meiner Arbeit, weil sie in keiner zweiten, unabhängigen Welt stattfindet, in keiner Schneekugel ohne Außenanbindung. Auch wenn ich für mich allein, auf meinem Spielplatz, völlig frei denken darf, spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem ich meine Ergebnisse in den öffentlichen Raum gebe, spätestens dann habe ich Verantwortung, weil ich bewerte und gehört werde und daher Macht ausübe.

Daher lautet meine Antwort auch Macht oder Wahrheit: Ja und nein und deswegen erst recht und unbedingt ja.

Literatur:

DURKHEIM, EMILE (1895): „Regeln der soziologischen Methode.“, Berlin: Suhrkamp.
FOUCAULT, MICHEL (1987): „Sexualität und Wahrheit: Erster Band: Der Wille zum Wissen“, Berlin: Suhrkamp.
NASSEHI, ARMIN (2008): Soziologen: Eingeborene unter Eingeborenen, in Uwe Schimank und Nadine Schöneck: „Gesellschaft begreifen. Einladung zur Soziologie.“, Frankfurt am Main, Campus, S. 169-177.
VAN GENNEP, ARNOLD (2005): „Übergangsriten.“ ,3. erweiterte Auflage, Frankfurt/New York: Campus.

Zum Radikalen Konstruktivismus siehe:

VON FÖRSTER, HEINZ (1993): „KybernEthik.“, Berlin: Merve Verlag.
VON FÖRSTER, HEINZ (1993): „Wissen und Gewissen: Versuch einer Brücke.“, 7. Auflage, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
VON FÖRSTER, HEINZ (1998): „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker.“, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme
VON GLASERSFELD, ERNST (1997): „Wege des Wissens. Konstruktivistische Erkundungen durch unser Denken.“, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme.