Was ist Kompetenz?

Im Gegensatz zu Zeiten der Ständegesellschaften ist laut Max Weber heute Kompetenz anstelle von Herkunft die Legitimation, also als Rechtfertigung etwas tun oder sein zu dürfen. Darin sah er einen zentralen Zugewinn der modernen Bürokratie im Vergleich zur Aristokratie. Aber was bedeutet das eigentlich, kompetent sein? Meistens wird es verstanden als die Fähigkeit oder Befähigung eines Menschen. Der Sozialtheoretiker Luhmann bezeichnete 2000 Kompetenz als eine unterstelle fachliche und motiv-geleitete Fähigkeit. Hierin steckt bereits eine folgenschwere Beobachtung: Kompetenz ist für Luhmann in ihrer sozialen Bedeutung nicht primär eine tatsächliche Fähigkeit, sondern die Behauptung anderer, dass jemand etwas könne – was diejenige Person dann „mehr oder weniger“ gut umsetzt. Das heißt also, für die Legitimation etwas tun zu dürfen kommt weniger zum Tragen, was ich kann, als vielmehr was andere mir zutrauen.

Der Soziologe Parson bezeichnete 1990 Kompetenz als die Fähigkeit, Ziele durch Wahlentscheidungen zu erreichen. Dabei spielt Wissen eine zentrale Rolle, und zwar nicht jenes Wissen, das ich bereits habe, sondern das Wissen, das ich noch nicht habe. Parson erklärte, es gehe nicht so sehr darum, was bereits gewusst wird, sondern wie kompetent man darin ist, sich benötigtes Wissen zu verschaffen. Problematisch wird es in unserer heutigen Gesellschaft durch die enorme Menge an verfügbaren Wissen. Wir sind daher nicht in der Lage,  alles zu wissen, bevor wir handeln. Wenn Wissen als einzige Basis für Entscheidungen dient, werden wir wohlmöglich schnell handlungsunfähig – sprich inkompetent! Luhmann zog daraus einen konsequenten Schluss: Das Lernen vom Wissen müsse ersetzt werden mit dem Lernen des Entscheidens, das heißt das Ausnutzen des Nichtwissens. Kompetenz wird somit zur Verfügbarkeit von Kreativität und Reflexivität.

Kompetent ist also diejenige, der wir zutrauen trotz fehlendem Wissen kreativ und reflektiert genug zu sein, dennoch gute Entscheidungen zu treffen und handlungsfähig zu bleiben.

Thomas Kurtz und Michael Pfadenhauer (2010): „Die Soziologie der Kompetenz“, Berlin, Springer.