Dein drittes Weinglas ist zur Hälfte getrunken und du lehnst gedankenverloren mit deinem Oberkörper über der Lehne des kleinen Sofas. Du hast einen sitzen und fabulierst über Liebe. Du überlegst, was sie bedeutet.
Ich zucke mit den Schultern und behaupte: „Jemanden zu lieben bedeutet erstmal garnichts. Das ist ungefähr so aussagestark wie ´Draußen sind es heute 10 Grad.´“ Ich puste dir eine große weiße Qualm-Wolke ins Gesicht und du musst husten. Mit der freien Hand wedelst du den Rauch zurück zu mir. „Deshalb sage ich Leuten ständig, dass ich sie liebe.“ „Du spinnst doch“, sagst du grinsend und tippst dir an die Stirn. „Du kannst doch wohl kaum ständig Leute lieben.“ „Naja, Liebe ist ja erstmal nichts anderes als große Zuneigung. Ich glaube das ist ein bisschen eine Charakterfrage. Mir liegt Liebe irgendwie. Genauso wie zufrieden oder wütend sein. Liebe ist ja irgendwie genauso ein Gefühl. Sie ist ja nicht immer gleichbedeutend mit Vertrautheit. Das kommt meistens erst mit der Zeit.“ Du sagst zögerlich: „Obwohl… ich glaube, dass Liebe ähnlich wie Vertrautheit wächst, oder?“ Wir denken darüber nach und du nippst an deinem Rotwein. Schweigend hören wir Charly Parker zu, wie er aus den Lautsprechern des Plattenspielers in den hohen Raum hineinrauscht, bis er bis obenhin voller Musik ist.
„Aber du bist nicht ständig verliebt in Menschen.“, sagst du jetzt und willst wissen ob das stimmt. Ich schiebe mit dem kleinen Finger die Zuckerkrümel auf dem Tisch zu einem kleinen Berg zusammen, räume meine Gedanken auf. „Nein, nicht ständig. Aber hin und wieder.“ Ich schiebe den Zucker jetzt hin und her. „Dieses Gefühl von Verliebtsein. Das ist doch im Grunde Liebe plus Aufregung. Manchmal bin ich super aufgeregt über Menschen. Männer, Frauen, Freunde…“ Und mit einem Nicken Richtung Plattenspieler: „Charly Parker.“ Du schmunzelst und ich reibe den Zucker in kleinen Kreisen in die Tischplatte. „In manche Menschen bin ich schon mein ganzes Leben lang verliebt.“, sage ich und schaue dir in die Augen. Du lächelst. Ich liebe es, wenn du lächelst. „Gleichzeitig?“ Ich nicke. „Holy Fuck.“, sagst du und ich stimme dir zu. Holy Fuck.
„Das Problem ist nur, wenn Leute daraus ein Ding machen. Wenn sie Konsequenzen daraus ableiten. Deswegen ist Liebe so schwierig. Wir sagen Liebe und meinen eigentlich Priorität oder Hierarchie. But that´s a whole different story.“ Ich mache ausschweifende Gesten, damit du mich verstehst. „Wenn ich jemandem sage, dass ich ihn mag oder sogar liebe, dann teile ich mit ihm schlichtweg mein aktuelles Innen. Das ist mehr ein Status-Update anstatt ein Angebot.“ Du legst die Stirn in Falten aber hörst mir weiter zu. „Ist ein bisschen wie ein emotionales Feedback zu deinem blinden Fleck. Hey, wusstest du schon, in meinen Augen bist du sehr liebenswert.“, sage ich zwischen zwei Zügen. „Ende der Geschichte.“ Du lächelst wieder.
„Ich sage das Leuten einfach, weil es mich nicht gefährdet. Nichts daran ist gefährlich, weil es wahr ist. Von allen Dingen auf der Erde ist es wohl das einzige, über das ich sagen kann, dass es wahr ist. Was ich fühle. Und was kann schlimmstenfalls passieren? Dass die andere Person nicht genauso empfindet? Das ist allerhöchstens ein bisschen beleidigend. Aber es ändert ja nichts daran, was ich gefühlt habe.“ „Was passieren kann, ist dass Menschen denken, du willst mit ihnen eine Beziehung führen. Dass sie sich unter Druck gesetzt fühlen.“, ergänzt du meine Überlegung. Ich lege mit einem erledigten Stöhnen die Zigarillo auf den Rand der silbernen Muschel, die uns als Aschenbecher dient, verkreuze die Arme hinter dem Nacken und flüstere: „Tja, da könntest du wohl Recht haben.“ Wir schauen uns an und lachen albern. Dann fluchen wir ein bisschen. Fluchen hilft eigentlich immer, wenn es komplizierter wird. Es stellt die Dinge in ein anderes Licht. Wenn wir darüber fluchen können, dann ist es nicht heilig und was nicht heilig ist, können wir auch verändern.
Ich erkläre: „Mit manchen will ich vielleicht auch eine Beziehung führen, also will sie in meinem Leben haben.“ „Schon klar“ „Auf einer konstanten Basis meine ich. Genau genommen…“, ich schiebe den Zucker wieder hin und her, „Genau genommen sogar deutlich lieber auf einer konstanten Basis. Ich finde Sehnsucht so furchtbar anstrengend.“ „Sehnsucht ist ne Bitch“, sagst du und atmest lange aus und darauf trinken wir. Du deinen Rotwein und ich meinen Weißwein.
„Beziehungen hängen für mich aber mit anderen Dingen zusammen. Sympathie ist nur eine Sache davon. Andere sind zum Beispiel Verfügbarkeit. Oder die Fähigkeit, miteinander zu streiten. Und der Austausch von emotionaler Sicherheit.“ „Attraktivität, sich vom anderen angezogen fühlen. Oder Gemeinsamkeiten.“, fügst du hinzu. Ich nicke und sage: „Aber, und ich glaube das ist der springende Punkt, ich will auf keinen Fall die Frau von all diesen Menschen sein. Das ist eine Frage der Zugehörigkeit. Ich fühle mich nur einer Person zugehörig, mit der ich Lebensentscheidungen treffe.“ „Ach, auf einmal“, witzelst du über mich. „Diesen Status, diese Priorität, diese absolute Spitze der Hierarchie würde ich nie jemanden einfach so anbieten, nur weil ich die Person liebe.“ „Ne, warum auch“. Du schaust mich mit deinem sarkastischen Blick an.
„Das eine ist ein Gefühl, worüber ich kaum eine Kontrolle habe. Es ist, was die bloße Wahrnehmung mancher Personen mit mir macht, auf lange oder kurze Sicht.“, versuche ich es jetzt. „Und das andere ein Lebenskonstrukt, für das ich mich entscheide. Es ist ein Unterschied, ob ich jemanden liebe oder mich für jemanden entscheide.“ „You don´t choose love“, murmelst du in dein Weinglas und ich nehme einverstanden mit dir und der Welt wieder meine Zigarillo, um weitere dicke weiße Wolken in den Raum zu blasen.
Liebe Isis,
ein sehr gelungener Artikel! Besonders die Form finde ich ansprechend: das doch sehr vertrackte Thema “Liebe” sich über einen Dialog mit einem anderen – geliebten – Menschen sich entfalten zu lassen. Ich finde mich auch sehr wieder in den Gefühlen, die ihr beschreibt. Auch ich war mehrfach verliebt. Und es hatte niemals denselben Entscheidungscharakter wie eine Beziehung. Ich entscheide mich dafür mit einem Menschen zusammen zu sein. Ich entscheide allerdings nicht, ob oder wie ich diesen Menschen liebe. Und doch gibt es eine Entscheidung im Zusammenhang mit der Liebe, die ich vor Jahren getroffen habe, die mein Leben grundsätzlich verändert hat: ich habe mich FÜR die Liebe entschieden. Für das Gefühl, das in mir war. Ihm zu vertrauen, ihm zu glauben, dass es ist, was es vorgibt zu sein. Auch ohne Beziehung.
Liebe Grüße
Michaela