What you want

„Es macht gar keinen Sinn, ihn das zu fragen. Das Problem ist, dass er wahrscheinlich selbst gar nicht weiß was er will.“, erkläre ich dir nachdenklich über den Camping-Tisch gelehnt. Meine Füße streifen über das strohige Gras als wollten sie weglaufen. Aber ich bleibe in dem Faltstuhl sitzen und blicke dich an als wären alle nötigen Antworten auf deine Stirn geschrieben. Du hast das Kinn auf dein Handgelenk gestützt und schaust in den Sonnenuntergang hinter mir. „Weißt du denn, was du willst?“, fragst du mich und legst den Kopf zur Seite. Ich denke darüber nach. „Ja.“, antworte ich zu deiner Überraschung. „Ja, das weiß ich. Ich weiß eigentlich immer, was ich will.“ Du richtest dich auf, verwundert und belustigt. „Okay. Verrückt.“ „Ich weiß“, sage ich verzweifelt. „Es ist mir nicht egal“, sage ich jetzt leise und zupfe ein paar Flusen von meiner Hose. „Und das ist manchmal echt Kacke.“ Jetzt lachst du und holst aus dem Zelt zwei Dosen Apfelwein. Als wir sie öffnen zischt es laut und meine Finger werden nass von dem Schaum, der aus der Dose spritzt und sich auf dem Aluminiumtisch verteilt. Ich schiebe die Pfütze vom Tisch auf den Rasen. Aber es bleibt ein kleiner Rest zurück. Er wird jetzt trocknen und den restlichen Abend klebe ich an dieser Stelle fest, denke ich.

„Das Problem mit der Leidenschaft ist ihre Erbarmungslosigkeit“, kommentierst du. „Es gibt nur Erfüllung oder Entsetzen. Zu wissen, was man will ist ebenso eine große Gabe wie eine enorme Last.“ Ich male kleine Symbole in die Apfelweinpfütze auf dem Tisch und höre dir zu. „Es ist eine Gabe zu wissen, welche Bedürfnisse du hast, was du glaubst zu brauchen.“ Ich ziehe eine Grimasse und nehme einen Schluck aus der kühlen Dose. „Daran kannst du dich ausrichten. Du kannst überprüfen, ob du einverstanden bist mit dem, was gerade passiert oder passieren könnte.“ Ich stimme dir zu. „Aber wenn man einmal erkannt hat, was man will, gibt es kein zurück mehr.“, sage ich. „Und das laut zu sagen macht es noch ein bisschen wahrer. Es laut auszusprechen.“ Wir hören den Grillen zu, die die Nacht ankündigen.

„Deshalb ist es auch so mutig, es laut auszusprechen,“ behaupte ich. „Ja sicher, mutig. Aber Dingen einen Namen zu geben ist gewissermaßen auch ein hochbrutaler Akt. Aus all den Möglichkeiten, was es sein könnte erhebst du damit eins zur Wahrheit und tötest gleichermaßen alle Alternativen. Zu sagen, was und wie etwas ist, ist die absolute Kontrolle.“

Ich fluche. Und ich trinke. Und dann fluche ich wieder. Du ziehst deinen Drehtabak aus der Tasche und legst ihn auf den Tisch. Deine schmalen Finger falten ein Pape auseinander und krümeln eine feine Tabakschnur in den Knick des dünnen Blattes. Dann rollst du das Pape geschickt und fest zusammen. Mit der Zunge befeuchtest du die Kante und drückst sie anschließend zwischen Daumen und Zeigefinger zusammen. Das Feuerzeug klickt zweimal, bis du deine Zigarette an der Flamme anzündest.

„Außerdem… Hast du dir mal überlegt, dass er vielleicht sehr wohl weiß was er will? Aber er sagt es dir nicht, gerade deshalb. Weil es auch ein bisschen fies ist, zu sagen was man will. Fies gegenüber dir, ihm selbst oder wem auch immer.“ Ich seufze und fahre mir durch die Haare. Mein Ellenbogen klebt am Tisch. „Aber es ist doch nun mal so wie es ist.“, maule ich jetzt wehleidig. „Nein. In dem Moment, wenn er das sagt, wird es zu dem, was es unter anderem auch sein könnte.“ „Ich würde mir wünschen, alle wären so fies“, ich mache Anführungszeichen mit den Fingern für das Wort. „Dann wüsste ich wenigsten, was los ist. Ich kann Ambivalenz einfach nicht aushalten.“ Ich schiebe die Dose von links nach rechts und wieder zurück. „Ich hab Angst, schätze ich. Davor den anderen vor den Kopf zu stoßen. Irgendwas völlig Bescheuertes zu machen oder Grenzen zu überschreiten.“ „Ich weiß“, sagst du und nimmst meine Hand. „Und du hast Angst davor, was passiert, wenn du nicht die Kontrolle darüber hast.“

Wir schweigen einen Moment und hören der Nacht zu. Die Sonne ist mittlerweile untergegangen und ich kann bereits ein paar Sterne sehen.

„Nichts zu sagen ist auch eine Lösung.“, sagst du und drückst deine Kippe auf der Erde aus. „Es heißt nicht unbedingt, dass derjenige nicht weiß was Sache ist oder zu feige ist. Es kann auch bedeuten, dass jemand Rücksicht nimmt. Oder so flexibel ist, unterschiedliche Versionen gleichzeitig akzeptabel zu finden.“

Ich stehe mit einem tiefen Ausatmen auf. Im Zelt ist die Spülschüssel in der ein feuchter Lappen liegt. Ich hole ihn und wische erst meinen Arm ab und anschließend die klebrige Stelle auf dem Tisch. Dann rücke ich meinen Stuhl zur Seite und setze mich. Hinter dir ist der Mond aufgegangen. Er ist riesengroß, sehr hell und kugelrund. Ein wunderschöner Mond, denke ich.

„Es ist vielleicht auch fies, zu sagen was ich will. Es macht das Spiel mit den Alternativen kaputt, weil es Tatsachen schafft. Aber ich erschaffe damit auch einen Standpunkt, einen Rahmen. Etwas festzulegen und damit auch etwas anderes auszuschließen ist brutal. Aber es ist auch produktiv. Es spannt ein Feld auf, das nicht mehr grenzenlos ist, aber das auch erst durch diese Begrenzung als Feld erkennbar wird. Ich schaffe mir selbst damit Sicherheit, das stimmt auch. Aber die erschaffe ich damit für uns beide.“

„Und du legst fest, was passieren soll. Es kann ja auch sein, dass der andere das eben nicht will. Oder gar nicht herausfinden kann, was er will, weil du das Feld bereits festgelegt hast. Du zwingst ihn dazu, entweder zuzustimmen oder das Feld zu verlassen. Das ist Erpressung.“

„Aber…“ Ich höre dich atmen. Ich kann deine Augen nicht mehr sehen aber ich glaube du siehst in mein Gesicht, dass vom Mondlicht angestrahlt wird.

„Du hast vorhin gesagt, dass du Angst hast, Grenzen zu überschreiten. Wenn du weißt, was du willst, kannst du dann auch sagen, was du nicht willst? Kennst du deine Grenzen?“ Das ist schon weniger eindeutig, denke ich mir. „Also was ich eher nicht will?“ „Nein, ich meine, was du definitiv auf gar keinen Fall willst.“ Ich denke darüber nach. „Das ist ein weites Feld“, zitiere ich Fontane und komme mir schlau vor. „Gut.“, sagst du. „Ein weites Feld hört sich nach Wahlfreiheit an.“ „Zu sagen, was ich definitiv nicht will?“ „Ja. Das ist fair. Denn das auszuschließen was es auf keinen Fall sein soll ist in jedem Fall gut für euch beide.“

„Und was mache ich dann mit den tausend Möglichkeiten zwischen dem wie es mindestens sein muss und dem was es auf keinen Fall werden darf?“ „Naja, das kommt darauf an, wieviel Flexibilität du dir leisten kannst. Was kannst du aushalten? Wieviel Angst hast du?“ „Sehr viel Angst?“ „Und willst du, dass es so bleibt?“ „Nein?“ „Dann kannst du jetzt lernen, etwas zu wagen.“ „Nichts zu wollen?“ „Nein, ganz im Gegenteil. Du kannst wagen, etwas zu wollen und trotzdem dem Anderen eine Wahl zu lassen.“ „Und Gefahr laufen, es nicht zu bekommen…“ „Ja. Das ist Freiheit. Und das ist Liebe.“ „Ich hasse Liebe. Sie macht mir Angst.“ Du grinst jetzt, das kann ich erkennen. Du beugst dich über den Tisch und küsst mich auf die Stirn. Und dann sagst du: „Aber sie macht dich auch mutiger.“

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