Führe mich nicht in Versuchungen und nerv mich nicht mit deiner Angst vor dem Bösen. Oder wenn du mich schon versuchen musst, dann lass mich nicht hängen, wenn ich es mochte. Und komm mir nicht mit Böse, sondern sag doch einfach, was du eigentlich meintest: Ungehorsam. Und wenn du schon Ungehorsam von mir sehen willst, dann halt auch fest, wenn ich über die rutschigen Kanten der Anstandslosigkeit zu fallen drohe. Nicht, dass es noch Verletzte gibt.
Und obwohl du scheinheilig alle Optionen auf den Tisch gelegt hast – Gehorsam, Ungehorsam und irgendwas, das noch nie einer zu Gesicht bekommen hat – und mich mit unbedarfter Mine bittest, selbst zu wählen, hast du doch nur Eines wirklich für mich bestimmt. Ich fürchte keinen Mangel, denn du hast sorgfältig ausgesucht, sie aus deiner teuersten Truhe geholt, liebevoll ausgeschüttelt und kunstvoll vor mir ausgebreitet. Und da liegt nun dein ungetragener Ungehorsam. Dein samtiger eigener Wille, der sich widersetzt. Einer muss ihn ja mal mit dir probieren, sonst wüssten wir ja nie, wie er schmeckt, nicht wahr?
Du lädst mich zu dir zum Abendessen ein und bereitest mir einen Tisch voller Wein und Koks im Angesicht meiner innersten Ängste und sagst ich soll mich widersetzen, du würdest mir auch die Haare kämmen, während ich mal versuchen soll, wie das schmeckt. Mein Blick wandert durch deine Zweizimmerwohnung und ich finde dich altmodisch und liebenswert. Deine Augen tränen vor Vorfreude, als ich den roten Apfel von deinem Kaminsims nehme, den du für mich aufgeschnitten hast. Er schmeckt widerlich. Völlig abgestanden, sage ich und biete dir stattdessen einen Sherry an. Den verdorbenen Wein trinke ich gerne mit dir. Auch die ganze Flasche. Cheers.
Dein Stecken und mein Stab treffen sich und wir beide genießen das, seien wir doch mal ehrlich. Egal ob im finsteren Tal oder auf deinem plüschigen Sofa, du erklärst mir, wie man sich duelliert und ich zeige dir wie man sich prügelt. Ich kann dir die Stirn bieten und du kannst meine Spielsätze parieren. Kein Anblick für die sanften Gemüter, aber wen kümmern die schon, wenn einem gerade dieses bezaubernde Rinnsal Blut über Stirn und Hände fließt? Und wie unglaublich frei es uns macht, die Kirche im Dorf zu lassen!
Ich weiß, was du dir wünscht. Du bist nicht mein guter Hirte aber du wärst so gern mein böser Wolf. Warum sonst hättest du mich zu dir eingeladen? Ich bin genauso naiv und frei, unverschämt und grenzenlos, wie du es dir in deinen kühnsten Träumen ausgemalt hast. Du wirst mein guter Freund und ich werde weiser, sicherer, stärker mit dir im Rücken. Du zeigst mir deine Briefmarkensammlung, deine Ölfarben und deine kleinen Poesiebänder, die neben deinem Bett im Schrank stehen. Ich werde Teil deiner Welt und du wirst mich verfolgen, mein Leben lang. Deine rauen Finger halten filigran einen Stift. Keiner kratzt so sanft und präzise sein Zeichen auf meine Schulter wie du. Keiner traut sich das. Und ich werde in deinem Haus nicht einziehen, aber ich komme gerne zu Besuch.