Was ist der Diskurs?

Welche Kraft ist die stärkste in unserer Welt? Wer bestimmt, was wahr ist, richtig ist, angemessen ist? Wer hat uns das schlechte Gewissen gemacht und die gute Absicht zum Ziel gesetzt?

Der Kulturwissenschaftler Han ist der Meinung, die größte Macht ist die, der ich freiwillig oder sogar unbewusst folge, Dinge die ich tue, weil man sie nun mal so macht. Oder von ihm selbst noch viel schöner ausgedrückt: „Das „man“ ist die Diktatur der Selbstverständlichkeit.“ (Han (2005): Was ist Macht? S. 61).
Der Sozialwissenschaftler und Philosoph Habermas erklärt es in einer kleinen Geschichte: „Als ich in den Semesterferien auf dem Bau arbeitete, drückte der Polier mir morgens um 9 Uhr einen Eimer in die Hand und sagte mir, daß ich jetzt für alle Bier holen solle. Ich fragte erstaunt: `Wieso ich, und wieso zum Frühstück Bier?´ Erst als ich das problematisierte, wurde klar, daß es auf dem Bau als selbstverständlich gilt, daß die zuletzt in den Bautrupp Gekommenen Bier holen, und daß es selbstverständlich ist, daß man am Bau morgens bereits Bier trinkt.“ (Horster (1999): Jürgen Habermas, S. 48).

Habermas beschreibt hier seine Erfahrung, aus der er die allgemeine Regel ableitet: Man trinkt morgens Bier auf dem Bau und der Neuling geht es holen. Das Aufstellen dieser Regel kann als „Diskurs“ bezeichnet werden und ihre Macht über alle Anwesenden als „Diskurs-Macht“.  Was ein „Diskurs“ ist, dieser Frage werden wir in den folgenden Tagen weiter nachgehen.